Überblick

Der Frachtensegler war für die flachen Gewässer der Unterelbe und seiner Nebenflüsse für einen Wischhafener Brennstoff- und Futtermittelhändler zum Eigentransport gebaut.

  • Ab 1952 Binnenschiff,
  • 1956 Baufahrzeug,
  • ab 1974 restauriert.
Anna-Lisa1980er

Seit der Sanierung 1978 fährt der Ewer wieder unter Segeln und war 1979-1984 im Museumshafen Flensburg beheimatet.

1985 kaufte der Verein „Bildungsschiff Niederelbe e.V.“ das Schiff und baute es für die Zwecke seiner Bildungsarbeit um.

Frühere Namen:

1906-1956 MATHILDE Hamburg
1956-1978 ANNA-LIESA Wilster
1978-1984 ANNA-LISA Flensburg
1984-2006 ANNA-LISA Stade
seit 2006 ANNA-LISA von Wischhafen

Ausführliche Darstellung zum 100. Geburtstag der ANNA-LISA

von Volker von Bargen

Mit der Baunummer 121 hatte der Werftchef gerade einen neuen Ewer-Typ entwickelt, der ein Vorbild für eine ganze Reihe von ähnlichen Schiffen werden sollte. Es handelte sich um einen großen Besan-Ewer, der in der Steinfahrt nach Hamburg eingesetzt war, und dafür musste er die Abmessungen der dortigen Graskellerschleusen haben, damit er auf die Alster gelangen konnte. Es waren dies seinerzeit die größten von der Werft gebauten Ewer und im Laufe der Zeit wurden neun Schiffe dieses Typs gebaut. Die Länge schwankte zwischen 18 und 20 Metern, die Breite betrug 4,90m und die Raumtiefe etwa 1,60 m. Je nach Länge betrug die Tonnage zwischen 37 und 47 BRT. Dieser erste Ewer hieß EMMA-LOUISE und wurde für den Schiffer Peter Wilhelm Kroos in Wischhafen gebaut.

Klüver

Am 12.02.1906 meldete der stolze Eigner Claus Heinrich Richters aus Wischhafen seinen neuen Ewer MATHILDE beim Hamburger Seeschiffsregister an. Der Ewer hatte die Baunummer 135 und stammte aus dieser neu entwickelten Serie mit Alstermaß. Die Abmessungen waren: 19,55m lang, 4,91m breit und 1,51m tief. Er hatte 9.300 Mark dafür bezahlt. Wie er das Geld als junger unverheirateter Mann bekommen hat, ist aus den Unterlagen ersichtlich, denn der Bielbrief ist noch mit August Richters, der sein Vater war, abgeschlossen worden. Auf der nächsten Rechnung der Werft J. Junge steht als Adressat August resp. Heinrich Richters. Eine Familie hat unser junger Schiffer erst vier Jahre später gegründet. Die Pläne können wir Dank unserer guten Beziehungen zum Deutschen Schifffahrtsmuseum Bremerhaven als Ablichtung in der Ausstellung zeigen. Auch den Bielbrief, der sich in unserm Archiv befand und welcher die Abmachung zwischen Auftraggeber und Werft zum Bau dieses Ewers zeigt, zeigen wir im Original. Da werden die Maße und die Ausrüstung festgelegt.

Joachim Kaiser schreibt über seine Recherchen zur Mathilde:

„So fuhr der große Besan-Ewer Heu, Futtermittel und Getreide, sowie Kohlen und Brennstoff auf Rechnung des Eigners und Schiffers, aber auch für fremde Rechnung wurden Lasten im ganzen norddeutschen Raum gesegelt. Mit dieser Kombination aus Händler und Schiffer – in den früheren Jahren eine weit verbreitete Berufsform – ist der Eigner gut zurechtgekommen, jedenfalls hat er den Ewer ohne große Umbauten 46 Jahre lang gefahren und sich dann als wohlhabender Mann zur Ruhe gesetzt.“

Joachim Kaiser

Auf den ausgestellten Fotos sehen wir die Heufahrt nach Hamburg – Pferde in der Stadt waren auf das Heu vom Lande angewiesen – und von der Kartoffelfahrt von Wischhafen aus.
1928 gab es den ersten Motor mit 40 PS und kurz vor dem 2. Weltkrieg wurde dieser durch einen 75 PS starken Jastram-Motor ersetzt. Über die ersten 40 Jahre des Schiffes gibt es eine ganz seltene Dokumentation, es existiert ein Gedicht „40 Jahre MS Mathilde“, Dies Gedicht zeigt den Stellenwert dieses Fahrzeuges im Leben der Familie und zeigt die Stationen der Entwicklung auf.

MATHILDE mit Heu beladen
MATHILDE hoch beladen mit Heu.

Zwei Weltkriege wurden überstanden. Im letzten war der kleine Ewer gänzlich in Norwegen als Versorger eingesetzt. Auf Fotos im Kehdinger Küstenschiffahrtsmuseum sind die fünf nach Norwegen beorderten Schiffe an den Pfählen bei der Rabeler-Werft, der späteren Eimers-Werft zu sehen .
Zum Zeitpunkt, als die Verfasserin des Gedichtes dem Schiff noch weitere glückhafte 40 Jahre wünschte, das war 1946, näherte sich eigentlich das Ende für derartige kleine Schiffe. In den letzten Jahren nach dem Krieg hat noch der Schwiegersohn Leo Zelinski die Mathilde gefahren. Wir zeigen ihn auf Fotos im Hafen von Wischhafen mit einer Ladung Torfballen auf die Flut wartend. Wie üblich, war das Schiff mit der leichten Ladung so hoch beladen, dass man aus dem Ruderhaus nichts mehr sehen konnte und mit einer speziellen Stange von oben auf den Ballen steuern musste.
1952 wurde das Schiff ins Binnenschiffsregister umgemeldet, aber so nicht mehr betrieben, sondern an eine Wasserbaufirma in Wüster verkauft.

Hier erhielt sie auch den Namen ANNA-LIESA, allerdings mit „IE“. Der Einsatz in der Baufirma wäre nun eigentlich ganz bestimmt das Ende für MATHILDE gewesen, denn sie wurde letztlich zur Baggerschute degradiert und nach dem Ende der Baufirma verfiel sie zusehends.

Unser Chronist der Niederelbe-Schifffahrt Joachim Kaiser beschreibt den Zustand im Jahre 1974 folgendermaßen:

„Das Regenwasser sammelte sich in dem offenstehenden Schiff, rundherum drückte der Rost allmählich die Farbe hoch; ein fehlendes Stück Schanz und Bordwand – entfernt um des einfacheren Baggerns willen – erweckte den Eindruck, als sei mit dem Abwracken schon begonnen worden.“
Da nahte, wie der weiße Ritter, zur Rettung des Ewers der Staatsanwalt und Schiffsliebhaber Jürgen Klette, der den traurigen Rest für 300,- DM als Schrott erwarb. Als der sich nun näher mit dem Schiff befasste, stellte er fest, dass unter den vielen Farbschichten und relativ dünnem Rost das grundsolide Baumaterial der Junge-Werft zutage kam. Selbst der alte Jastram-Diesel konnte wieder zum Leben erweckt werden.

Joachim Kaiser

Das Schiff wurde restauriert und für die private Nutzung umgebaut, dabei mussten natürlich Kompromisse in punkto Originaltreue gemacht werden. Im Namen wurde das „e“ gestrichen und nachdem der Besitzer nach Flensburg verzogen war, wurde aus der Anna-Lisa von Wilster, die gleiche von Flensburg. Dort bildete sie zu der Zeit den Grundstock für den sich entwickelnden Flensburger Museumshafen. In dieser Zeit wurde auch die Reise nach Norwegen, jetzt unter ganz anderen Bedingungen, wiederholt.
1984 erwarb der Verein Bildungsschiff Niederelbe e.V. das Schiff von dem Privatmann, dem das für den privaten Bedarf doch sehr große Schiff über den Kopf zu wachsen drohte. Erneut wurde umgebaut und der für den Privatbedarf einer Familie zugeschnittene Innenausbau wurde an die Erfordernisse als schwimmende Bildungsstätte angepasst. Es entstanden 16 Gästeschlafplätze in vier Kabinen, eine Pantry mit sechs Kochstellen, Backofen und Kühlschrank, eine große Messe als Ess- und Versammlungsraum und zwei Toilettenkabinen. Auch die Maschine wurde gegen einen Deutz-Sechszylinder-Diesel mit etwa 73 kW. Ausgetauscht. Der Heimathafen wurde nach Stade verlegt. Aus dieser Zeit als Bildungsschiff finden sich einige Fotos in der Ausstellung und von einer Gruppenreise werden die Erlebnisse auf dem Bildschirm gezeigt.

Kompass

In dieser Funktion als Bildungsschiff, das mit Gruppen in die Watten und die umliegenden Häfen reist, finden wir die Jubilarin heute im Hafen von Wischhafen, den sie schon seit einigen Jahren als Basishafen und Winterliegeplatz benutzt. Das soll auch in Zukunft so bleiben und deshalb wurde ANNA-LISA, die früher zu Wischhafener Zeiten MATHILDE hieß, auf der jährlichen Hafenversammlung am 27.12.2005 in die ehrenwerte Hafeninteressentenschaft Wischhafen von 1839 aufgenommen. Am Nachmittag hat unser Bürgermeister Heinrich von Borstel feierlich den neuen Namen des Heimathafens am Heck enthüllt und so schließt sich nach hundert Jahren der Kreis, und ANNA-LISA, ist dahin zurückgekehrt, wo einst ihre Karriere begann. Wir wollen ihr alles Gute und weiterhin glückhafte Fahrt und wenig Werftaufenthalte wünschen. Die allseits gewünschte Handbreit Wasser unter dem Kiel brauchen wir ihr nicht zu wünschen, als Plattbodenschiff hat sie gar keinen Kiel und fällt auch gern mal trocken.

Volker von Bargen, Traditionshafen Wischhafen