Warum ein Bildungsschiff?

Geschichte und Selbstverständnis des Vereins Bildungsschiff e.V.

1970 war Wirtschaftspolitikern die Elbe für eine Idylle zu schade. Man träumte von einem kleinen Ruhrgebiet im Norden. 1988 standen dort u.a. vier Atomkraftwerke, Aluminiumindustrie in Hamburg und Stade und Chlorchemiewerke in Stade und Brunsbüttel. Die Elbe war zum reinen Abwasserkanal (Vorfluter), Kühlwasserlieferanten und Transportweg verkommen. Fischerei war wegen hoch mit Schadstoffen belasteten Fischen unmöglich geworden. Baden im Fluss wie in früheren Zeiten? Daran war nicht mehr zu denken. Nicht nur wegen der Schadstoffe, sondern auch wegen der gefährlicher gewordenen Strömungen.

images (6)Der Fluss wurde immer mehr vertieft, um ihn an die größer werdenden Transportschiffe anzupassen. Die dadurch schneller und höher auflaufenden Sturmfluten erforderten höhere Deiche.

Proteste und Widerstand entstanden gegen diese massive Form der Zerstörung einer Natur- und Kulturlandschaft. Nicht nur die Umweltbewegung entwickelte sich an der Elbe wie auch in der übrigen Bundesrepublik, sondern auch die Umweltbildung – ein Lernen mit allen Sinnen, nicht nur über den Kopf. Vor diesem Hintergrund entstand der Verein Bildungsschiff Niederelbe e.V. Wir wollten den Menschen, die es interessiert, begreiflich machen, was hier an der Unterelbe vor sich ging, welche zerstörerischen Kräfte hier am Werk waren, was sie anrichteten und was es alles noch zu retten galt. Dies betraf nicht nur die Natur, sondern auch die Menschen die traditionell in dieser Region lebten und arbeiteten.

TauwerkWir, das waren Frauen und Männer, die als Handwerker, Pädagogen, Sozialarbeiter, Seeleute, Bootsbauer und (angehende) Wissenschaftler tätig waren. Um authentisch vermitteln zu können, was es zu bewahren galt, wurden anfangs holländische Plattbodenschiffe gechartert. Auf traditionellen, an das gemächliche Fahren in den flachen Tidegewässern angepassten Schiffen bewegten wir uns wie in früheren Zeiten in traditioneller Weise durch die Unterelberegion, befuhren die Elbe und ihre Nebenflüsse bis ins Wattenmeer hinein. Und wir trafen uns mit den Menschen, die dort lebten, ließen sie erzählen und fragten nach – Leute aus den zahlreichen Bürgerinitiativen, Vogelwarte, Pfarrer, Fischer, Wattführer, Bauern, Kaufleute … Auch die Industriebetriebe besuchten wir, stellten unsere kritischen Fragen, hörten zu. Nur so war es wirklich begreifbar zu machen, welche Bedrohungen für Natur und Menschen dort mittlerweile herrschten und welche Dimensionen diese Bedrohungen hatten – unmittelbar und glaubhaft.

Erlernen der traditionellen Seemannschaft war – und ist bis heute – die Grundbedingung unserer Bildungsarbeit. Das galt nicht nur für die Crew bzw. die Vereinsmitglieder. Es galt genauso für die Gäste, die mit uns auf Bildungsfahrt gingen. Alle mussten sich auf die Regeln für das Fahren eines „gaffelgetakelten Besanewers“ einlassen, sie erlernen und gemeinsam mit anpacken.

SegelAb 1982 war dies die „ANNA-LISA von Stade“, einer der letzten stählernen Besanewer auf der Unterelbe, gebaut 1906 in Wewelsfleth an der Stör. Bankkredite und zahlreiche zinslose Privatkredite von Vereinsmitgliedern hatten es dem Verein ermöglicht, dieses alte, schöne Schiff zu kaufen.

Nicht nur das Bedienen von Leinen, Schoten und Stagen gehört zur traditionellen Seemannschaft. Ständige Aufmerksamkeit und Umsicht, das Beobachten von Wind und Strömungen, das Erstellen der aktuellen Wetterkarte, das Wache gehen bei Nacht, das Bedienen von Handlot, Ankerwinsch und Seitenschwertern, der maßvolle Umgang mit Strom, Wasser und Vorräten, das Kochen für 20 hungrige Mitfahrer, die Orientierung an den Gezeiten – dies zieht alle in ihren Bann und lässt keine Langeweile aufkommen.

Umweltbildung ist bei allen Anforderungen, die das Schiff an seine Gäste stellt, dennoch möglich. Dies können wir nach 30 Jahren Bildungsfahrten auf der Anna Lisa glaubhaft versichern. Das Ziehen von Wasserproben und deren chemische und biologische Untersuchung sowie die Auswertung der Ergebnisse, die Messung von Windstärke und Strömungsgeschwindigkeit, die Beobachtung von Seevögeln und Robben, das Einfangen von Bodenbewohnern in den Wattprielen mit einer traditionellen Kurre oder einer Buttlade und das anschließende Bestaunen wie auch ausgiebige Erkundungen des Wattbodens und seiner spezifischen Eigenschaften gehören zu unseren Bildungsinhalten. Dazu gibt es reichlich Informationen, Diskussionen und Geschichten. Dabei geht es um nachhaltiges Wirtschaften mit der Natur, um die Folgen des Klimawandels für die Küste, Strategien beim Küstenschutz, um die Wattenmeer-Nationalparke… und um die Geschichte der Region.

SteuerradANNA-LISA von Wischhafen, wie sie mittlerweile heißt, ist ein Teil der Natur- und Kulturlandschaft Unterelbe. Wir haben sie und unsere Vereinsziele nie isoliert von diesem Lebensraum gesehen. Mit unserer Bildungsarbeit auf diesem alten Schiff und auch durch dieses nach wie vor traditionell gefahrene Schiff werben wir für diese Region und deren behutsame Entwicklung – bis heute.

Bildungsschiff Niederelbe e.V., 01/2014

Förderer

Einzelne Projekte von Bildungsschiff Niederelbe e.V. werden u.a. von der Niedersächsischen Wattenmeerstiftung, der Niedersächsischen Bingo Umweltstiftung, sowie der Sparkasse Stade Altes Land gefördert.